Vom Kriege by Carl von Clausewitz

Vom Kriege by Carl von Clausewitz

Author:Carl von Clausewitz
Language: deu
Format: epub
Publisher: Vergangenheitsverlag


Sechstes Buch: Verteidigung

[338]

Erstes Kapitel: Angriff und Verteidigung

Begriff der Verteidigung

Was ist der Begriff der Verteidigung? Das Abwehren eines Stoßes. Was ist also ihr Merkmal? Das Abwarten dieses Stoßes. Dieses Merkmal also macht jedesmal die Handlung zu einer verteidigenden, und durch dieses Merkmal allein kann im Kriege die Verteidigung vom Angriff geschieden werden. Da aber eine absolute Verteidigung dem Begriff des Krieges völlig widerspricht, weil bei ihr nur der eine Krieg führen würde: so kann auch im Kriege die Verteidigung nur relativ sein, und jenes Merkmal muß also nur auf den Totalbegriff angewendet, nicht auf alle Teile von ihm ausgedehnt werden. Ein partielles Gefecht ist verteidigend, wenn wir den Anlauf, den Sturm des Feindes abwarten; eine Schlacht, wenn wir den Angriff, d. h. das Erscheinen vor unserer Stellung, in unserem Feuer abwarten; ein Feldzug, wenn wir das Betreten unseres Kriegstheaters abwarten. In allen diesen Fällen kommt dem Gesamtbegriff das Merkmal des Abwartens und Abwehrens zu, ohne daß daraus ein Widerspruch mit dem Begriff des Krieges folgt, denn man kann seinen Vorteil darin finden, den Anlauf gegen unsere Bajonette, den Angriff auf unsere Stellung und auf unser Kriegstheater abzuwarten. Da man aber, um wirklich auch seinerseits Krieg zu führen, dem Feinde seine Stöße zurückgeben muß, so geschieht dieser Aktus des Angriffs im Verteidigungskriege gewissermaßen unter dem Haupttitel der Verteidigung, d. h. die Offensive, deren wir uns bedienen, fällt innerhalb der Begriffe von Stellung oder Kriegstheater. Man kann also in einem verteidigenden Feldzuge angriffsweise schlagen, in einer verteidigenden Schlacht angriffsweise seine einzelnen Divisionen gebrauchen, endlich, in der einfachen Aufstellung gegen den feindlichen Sturm schickt man ihm sogar noch die offensiven Kugeln entgegen. Die verteidigende Form des Kriegführens ist also kein unmittelbares Schild, sondern ein Schild, gebildet durch geschickte Streiche.

Vorteile der Verteidigung

Was ist der Zweck der Verteidigung? Erhalten. Erhalten ist leichter als gewinnen, schon daraus folgt, daß die Verteidigung bei vorausgesetzten gleichen Mitteln leichter sei als der Angriff. Worin liegt aber die größere Leichtigkeit des Erhaltens oder Bewahrens? Darin, daß alle Zeit, welche ungenutzt verstreicht, in die Waagschale des Verteidigers fällt. Er erntet, wo er nicht gesäet hat. Jedes Unterlassen des Angriffs aus falscher Ansicht, aus Furcht, aus Trägheit, kommt dem Verteidiger zugute. Dieser Vorteil hat den preußischen Staat im Siebenjährigen Kriege mehr als einmal vom Untergang gerettet. – Dieser, aus Begriff und Zweck sich ergebende, Vorteil der Verteidigung, liegt in der Natur aller Verteidigung und ist im übrigen Leben, besonders in dem dem Kriege so ähnlichen Rechtsverkehr durch das lateinische Sprichwort beati sunt possidentes fixiert. Ein anderer, der nur aus der Natur des Krieges hinzukommt, ist der Beistand der örtlichen Lage, welchen die Verteidigung vorzugsweise genießt.

Nach Feststellung dieser allgemeinen Begriffe wollen wir uns mehr zur Sache wenden.

In der Taktik ist also jedes Gefecht, groß oder klein, ein verteidigendes, wenn wir dem Feinde die Initiative überlassen und sein Erscheinen vor unserer Front abwarten. Von diesem Augenblick an können wir uns aller offensiven Mittel bedienen, ohne daß wir die beiden genannten Vorteile der Verteidigung, nämlich den des Abwartens und den der Gegend, verlieren. In der Strategie



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